E-Commerce – Umsetzung der Neuregelung ab 2021 fraglich
Die Neuregelung der Besteuerung des grenzüberschreitenden E-Commerce ab 2021 nach dem sog. „Digitalpaket II“ der EU-Kommission vom 5.12.2017 nimmt im Kanon der Maßnahmen der geplanten großen Umsatzreform eine zentrale Rolle ein. Aufgrund technischer Unzulänglichkeiten droht diesem nächsten wesentlichen Reformschritt im Zuge des Übergangs zur endgültigen Besteuerung im Bestimmungsland eine signifikante zeitliche Verschiebung.
Das Onlinebusiness hat sich mit den Neuerungen der letzten Jahre arrangiert. Die 2019 eingeführten Elemente des sog. „Digitalpakets I“ (z.B. Besteuerung elektronisch erbrachter B2C-Dienstleistungen beim Empfänge oder Einführung einer EU-weiten € 10.000-Geringfügigskeitsschwelle) wurden von der unternehmerischen Praxis gut auf- und angenommen. Zuletzt galt es zum 1.1.2020 die „Quick Fixes“ im innergemeinschaftlichen Warenverkehr und damit auch z.T. verschärfende Neuregelungen im Kernbereichen des E-Commerce (innergemeinschaftliche Lieferung / Verbringung) „compliant“ umzusetzen.
Die Umsetzung der Neuregelungen bedeutete (zwangsweise) auch, sich mit den verbundenen prozessualen Veränderungen erfolgreich auseinanderzusetzen. Dies gilt vor allem für die optionsweise Nutzung des sog. „One-Stop-Shop“ (OSS), also Erklärungen und Zahlungen von Umsatzsteuern, die aufgrund des Bestimmungslandprinzips im anderen EU-Staaten ausgelöst werden, beim deutschen Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) adressieren zu können. Ohne die Schaffung dieser EU-weiten einheitlich möglichen Erleichterung, sich der ansonsten ergebenden Registrier- und Deklarationspflichten im Ausland zu entledigen, wäre jedwede Reformüberlegungen schon aufgrund der Befolgungskosten für die Unternehmen zum Scheitern verurteilt.
Die nächsten Schritte der großen Umsatzsteuerreform in der EU sind ab 1.1.2021 geplant und betreffen vor allem den B2C-Versandhandel. Die derzeitige Versandhandelsregel soll durch die Regelung des sog. „innergemeinschaftlichen Fernverkaufs von Gegenständen“ ersetzt werden. Das bedeutet, dass Onlinehändler durch Warenlieferungen an Endverbraucher in anderen EU-Staaten im jeweiligen EU-Staat (=Bestimmungsland) steuerpflichtige Umsätze tätigen, ihr Handelsvolumen nicht EU-weit insgesamt unter € 10.000 p.a. bleibt (vgl. im Einzelnen EU: Neuerungen für E-Commerce ab 1.1.2019/1.1.2021 ). Das OSS-Verfahren ist hierbei wiederum für einen praktikablen Umgang mit den sich mitunter vervielfachenden Registrierungs- und Deklarationspflichten im EU-Ausland angedacht.
Neben der nationalgesetzlichen Umsetzung des innergemeinschaftlichen Fernverkaufs müssen die EU-Staaten daher den erheblichen Ausbau ihrer finanzbehördliche IT-Infrastruktur für das steigende OSS-Volumen bis Ende 2020 erledigen. Dies scheint sich zum „Flaschenhals“ zu entwickeln. Denn das niederländischen Finanzministerium hat in einem Schreiben vom 27.2.2020 an die Legislative vorgetragen, dass es wegen Personalfluktuation sowie komplexer und veralteter IT-Struktur mit dem Umsetzungsdatum 1.1.2021 vor Problemen stehe. Zurzeit werde daher geprüft, wie und wann welche Maßnahmen noch umgesetzt werden könne. Noch sei ungewiss, welche Alternativen in Abstimmung mit der EU-Kommission möglich und praktikabel seien. Die Folgeinformation zum Sachstand solle noch vor dem Sommer 2020 erfolgen.
Vor diesen Hintergrund, wegen des Umstands, dass die deutsche Finanzverwaltung dem Vernehmen nach vor ähnlichen Problemen steht (die Corona-bedingt sicher nicht kleiner geworden sind) sowie der Erkenntnis aus der Vergangenheit, dass die von den Finanzbehörden der EU-Staaten verwendeten IT-System ohnehin noch Inkongruenzen aufweisen, erscheint eine pünktliche Umsetzung zum 1.1.2021 fraglich. Angeblich sei eine Verschiebung um mindestens drei Jahre auf den 1.1.2024 im Gespräch.
Zeitliche Verschiebungen sind bei EU-forcierten Gesetzesänderungen nichts Neues oder Ungewöhnliches. Ein Beispiel hierfür sind die ein Jahr später als geplant eingeführten „Quick Fixes“. Doch schon diese (leichte) Verzögerung bedeutet, dass sich die weiteren Reformschritte länger in die Zukunft ziehen. Sollten die sich die vorgenannten IT-bedingten Verzögerungen tatsächlich bewahrheiten, hätte dies eine weitere Verschiebung für den Versandhandel von drei oder gar mehr Jahren zur Folge. Des Weiteren wäre wohl mit dem Abschluss der daran anknüpfenden Maßnahmen, die beispielsweise auf die enormen praktischen Umsatzsteuerprobleme beim B2B-Handel bzw. innerhalb der gängigen Fulfillment-Strukturen gerichtet sind, schwerlich noch in der laufenden Dekade zu rechnen sein. Mit Spannung bleibt also abzuwarten und zu beobachten, wie die weiteren Verlautbarungen der EU-Finanzbehörden bis zum Sommer sowie danach aussehen und welcher angepasste Reform-Fahrplan dabei am Ende herauskommt.
In der Verlautbarung vom 8.5.2020 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Umsetzung des Digitalpakets II vom 1.1.2021 um sechs Monate auf den 1.7.2021 zu verschieben (siehe: https://ec.europa.eu/taxation_customs/news/taxation-commission-proposes-postponement-taxation-rules-due-coronavirus-crisis_en). Als Grund für diesen Vorschlag wird angegeben, so den Mitgliedstaaten und Unternehmen wegen der derzeitigen Corona-bedingten Krisensituation mehr Zeit geben zu wollen, sich auf die neuen Mehrwertsteuerregeln für den E-Commerce einzustellen. Ob es tatsächlich eine Verschiebung von drei Jahren geben wird, ist weiterhin offen: Bedeutet dieser Schritt, dass die EU-Kommission auch weiteren zeitlichen Verschiebungen bis hin zu drei Jahren offen gegenübersteht? Oder ist zu folgern, dass die EU-Kommission genau dies ablehnt, hätte sie ansonsten doch gleich statt der nun auf dem Tisch liegenden sechsmonatigen Verschiebung eine längere vorschlagen können? In der unternehmerischen Praxis kann man jedenfalls darangehen, Projektpläne zeitlich neu zu ordnen. Unbefriedigend ist, dass man nicht weiß, ob dies nicht (mindestens) noch einmal erforderlich wird. Es bleibt (leider) spannend…
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